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Gedächtnis

Unter Gedächtnis versteht man die Fähigkeit des Gehirns, Informationen aufzunehmen, zu behalten, zu ordnen und wieder abzurufen.

Die heutige Forschung unterscheidet dabei vor allem zwischen dem Arbeitsgedächtnis, das früher Kurzzeitgedächtnis genannt wurde, und dem Langzeitgedächtnis.

Es gibt jedoch auch Gedächtnisinhalte - z.B. für häufige Bewegungsmuster wie das Gehen - die im Rückgrat und andernorts verspeichert werden.

Gedächtnisprozesse

Folgende vier Gedächtnisprozesse werden unterschieden:
  • Lernen/Enkodierung = Neues Einspeichern von Informationen in das Langzeitgedächtnis
  • Behalten = Bewahren von wichtigen Informationen durch regelmäßigen Abruf
  • Erinnern/Abruf = Reproduktion oder Rekonstruktion von Gedächtnisinhalten
  • Vergessen = Zerfall von Gedächtnisspuren oder Abruf-Interferenzen durch konkurrierende Informationen

Gedächtnisrelevante anatomische Strukturen

Im Gegensatz beispielsweise zur Sprache gibt es kein umschriebenes Gedächtniszentrum im Gehirn. Trotzdem kann man verschiedene anatomische Strukturen unterscheiden, die speziell dem Erinnerungsvermögen zuzuordnen sind.

Abgrenzbare Einzelbereiche des Langzeitgedächtnisses

  • Priming
    • Unbewusst wahrgenommene Zusammenhänge
    • zum Beispiel Blatt - Baum
    • verschaltet vor allem im Scheitellappen (Parietallappen).
  • Emotionale Bewertung und Zugang zum Gedächtnis
    • verschaltet im Limbischen System
    • Hippocampus und Amygdala
    • vielfach mit Gerüchen assoziiert.
  • Prozedurales Gedächtnis
    • Bewegungsabläufe, die man erlernt und die man dann weitgehend unbewusst abrufen kann.
    • beispielsweise Gehen, Radfahren, Tanzen, Autofahren
    • wird in den Basalganglien und im Kleinhirn verschaltet
    • und ist eng mit Muskel- und Gleichgewichtssinn verknüpft.
  • Episodisches Gedächtnis
    • Speicherung von persönlichen Erlebnissen. Die eigene Geschichte
    • zum Beispiel die erste Begegnung mit der Freundin
    • beispielsweise der Hundebiss
    • verschaltet im Schläfenlappen (Temporallappen) und Scheitellappen (Parietallappen).
  • Semantisches Gedächtnis
    • Daten und Fakten, die man bewusst erlernt hat
    • zum Beispiel Wie heißt die Hauptstadt von Russland ?
    • verschaltet im Schläfenlappen.

Krankheiten

Das Arbeitsgedächtnis

Das Modell des Kurzzeitgedächtnisses wurde in den letzten 25 Jahren durch das Modell "Arbeitsgedächtnis" abgelöst, das folgende drei Systeme beinhaltet: Der räumlich-visuelle Notizblock zur kurzfristigen Speicherung von visuellen Eindrücken. Die artikulatorische Schleife dient zur Speicherung von verbalen Informationen, welche durch ein inneres Wiederholen relativ lange verfügbar bleiben können. Die Zentrale Exekutive verwaltet beide Systeme und verknüpft Informationen aus diesen Systemen mit dem Langzeitgedächtnis.

Langzeitgedächtnis

Das Gedächtnis ist nicht nur thematisch, sondern auch zeitlich organisiert. Eine neue Erfahrung, ein neu trainiertes Bewegungsmuster kommt zuerst ins "Kurzzeitregister", auf das wir die schnellste Zugriffszeit haben. Es muss aber aus Gründen der Ökonomie öfters von Ballast befreit werden. Als wichtig erkannte oder stark durch Assoziationen verknüpfte Inhalte werden ins Mittel- oder ins Langzeit-Register verschoben; unwichtigeres wird großteils gelöscht.

Je häufiger ein Inhalt aufgerufen, eine Bewegung ausgeführt wird, desto feiner wird das Feedback - und damit die Beurteilung und Optimierung. Letztere bedeutet auch, unnötige Parameter nicht mehr zu speichern und wichtige andernorts zu verknüpfen. Die Verankerung im Gedächtnis nimmt einerseits mit der Relevanz und der Anzahl der Assoziationen zu, andererseits auch mit der emotionalen Bedeutung.

Berühmte Gedächtnismenschen

  • der Amnesiepatient H.M.
  • Der Neurologe (Gehirnforscher) Alois (Aloys) Alzheimer
  • der englische Soldat Adrian Mills, der nach einem Sturz einen Teil seines Gedächtnis verloren hat
    • Spiegel 42/2002
  • Tony Buzan der Mnemotechniken zum Gedächtnistraining entwickelt hat
  • Ben Pridmore der aktuelle Gedächtnissport-Weltmeister
  • Kim Peek Inselbegabter, berühmt durch den Filmhit Rain Man.

Zitate

  • Hätte man, wie man meint, beim ersten Male gar nichts verstanden, so würden das zweite und dritte Mal nicht anders sein als das erste, und es gäbe keinen Grund, beim zehnten Male mehr zu verstehen. Was beim ersten Male fehlen dürfte, ist weniger das Verstehen als das Gedächtnis. - Marcel Proust (Auf der Suche nach der verlorenen Zeit. Im Schatten der jungen Mädchen, ISBN 3518578758, S. 105)
  • Eine Äußerung von Luis Buñuel, dem französischen Filmregisseur, schätzt die Unersetzbarkeit des Gedächtnisses richtig ein: Man muss erst beginnen, sein Gedächtnis zu verlieren, und sei es nur stückweise, um sich darüber klar zu werden, dass das Gedächtnis unser ganzes Leben ist. Ein Leben ohne Gedächtnis wäre kein Leben ... Unser Gedächtnis ist unser Zusammenhalt, unser Grund, unser Handeln, unser Gefühl. Ohne Gedächtnis sind wir nichts ...

Gedächtnistraining und Sport

Gedächtnistraining ist in vieler Hinsicht möglich. Es gibt zahlreiche Gedächtnistrainer und zahllose Bücher. Meist bauen diese auf Mnemotechniken auf. Die berühmteste ist die Loci-Methode. Heutzutage gibt es auch Gedächtnissportler, Gedächtnissportmeisterschaften und eine Weltrangliste. Der Weltrekord im Memorieren, also Auswendiglernen, möglichst vieler Ziffern in 5 Minuten liegt bei 324. Den deutschen Rekord hält Dr. Gunther Karsten mit 282 Ziffern.

Literatur

  • Alan Baddeley: Essentials of Human Memory, Psychology Press, ISBN 0863775454
  • Frederic Bartlett: Remembering, Cambridge University Press, ISBN 0521483565
  • Jürgen Bredenkamp: Lernen, Erinnern, Vergessen, ISBN 3406432964
  • Christoph Clases: Das Erinnern einer anderen Zukunft, Münster: Waxmann, 2002, ISBN 3830912692
  • Hermann Ebbinghaus: Über das Gedächtnis; ISBN 9060310071
  • John Kotre: Der Strom der Erinnerung. Wie das Gedächtnis Lebensgeschichten schreibt. dtv, 1995. ISBN 3423360895
  • Guy Lefrançois: Psychologie des Lernens, ISBN 3540161929
  • Manfred Spitzer: Lernen, Spektrum Verlag, ISBN 3827413966
  • Larry Squire, Eric Kandel: Gedächtnis, Spektrum Verlag, ISBN 382740522X
  • Fritz Süllwold: Das unmittelbare Behalten und seine denkpsychologische Bedeutung, Göttingen: Hogrefe 1964
  • Spektrum der Wissenschaft: Gedächtnis, Spezial Nr. 2002/1, ISBN 3936278083
  • Harald Welzer: Das kommunikative Gedächtnis Eine Theorie der Erinnerung,C.H.Beck ISBN 3-406-49336-x
  • Jan Born, Ulrich Kraft: Lernen im Schlaf - kein Traum. Spektrum der Wissenschaft, November 2004, S. 44 - 51, ISSN 0170-2971

Weblinks