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Synchronizität

Der Begriff

Als Synchronizität bezeichnet Carl Gustav Jung relativ zeitnah aufeinander folgende Ereignisse, die nicht über eine Kausalbeziehung verknüpft sind und vom erlebenden Beobachter als sinnhaft verbunden erlebt werden. Im engeren Sinn handelt es sich dabei um ein inneres Ereignis (eine lebhafte, aufrührende Idee, ein Traum, eine Vision oder Emotion) und ein zeitlich darauf folgendes äußeres, physisches Ereignis, das wie eine (körperlich) manifestierte Spiegelung als Antwort auf den inneren (seelischen) Zustand wirkt. Um das Doppelereignis tatsächlich als Synchronizität definieren zu können, ist es unerlässlich, dass das innere chronologisch vor dem äusseren Ereignis geschehen ist, da im umgekehrten Fall angenommen werden kann, dass das innere Phänomen auf das äusserlich wahrgenommene Vortagsereignis reagiert (womit wieder eine quasi kausale Erklärung möglich wäre).

Synchronizität ist ein finales (teleologisches) Prinzip und widerspricht so der heutigen kausalistisch-materialistischen Wissenschaftsphilosophie. Die bewusste Herausarbeitung des manchmal nur symbolisch angedeuteten Sinnes führt in bis dahin nicht geahnte Zukunftsmöglichkeiten und bestätigt so auf empirische Weise die finale (teleologische) Tendenz der Synchronizität. Das Auffinden des Sinnes einer Synchronizität stellt daher des öfteren den Ausweg aus einer tiefen Lebenskrise dar.

Jung bezeichnet mit dem von ihm eingeführten Begriff sowohl das Phänomen als auch das hypothetisch dahinterstehende Prinzip. Er verwendet den Begriff "synchronistisches Prinzip" öffentlich erstmals in seinem Nachruf für Richard Wilhelm, in: Neue Zürcher Zeitung CLI/1 am 6. März 1930 [Quelle: C.G. Jung, Ges. Werke, Bd. 15, p. 63 u. p. 66]: "Die Wissenschaft des I Ging beruht nämlich nicht auf dem Kausalprinzip, sondern auf einem bisher nicht benannten -- weil bei uns nicht vorkommenden -- Prinzip, das ich versuchsweise als synchronistisches Prinzip bezeichnet habe."

Zusammenarbeit mit Wolfgang Pauli

Mit dem Physiker Wolfgang Pauli diskutiert er während seines langjährigen Briefwechsels (1932 ? 1958, veröffentlicht 1992 von C.A. Meier, einem Zürcher Psychiater und langjährigem Freund des Physikers und des Tiefenpsychologen) intensiv diese Thematik. Der Begriff Synchronizität taucht im Pauli/Jung-Briefwechsel zum ersten Mal im Jahr 1948 auf (Brief [35]). Pauli dürfte ihn jedoch schon im Jahr 1934 gekannt haben, da Jung ihn in einem Brief an dessen Physikerkollegen Pascal Jordan verwendete, Pauli Jordan von seiner Hamburger Zeit her kannte und weiter mit ihm mündlich und schriftlich verkehrte. In den folgenden Jahren diskutiert Jung den Begriff intensiv mit Pauli. Er erwähnt ihn dann im Jahr 1950 zum ersten Mal wieder öffentlich im Vorwort zur englischen Übersetzung des I Ging. Schliesslich veröffentlicht er im Jahr 1952 gemeinsam mit Pauli das Buch Naturerklärung und Psyche, in dem Jung unter dem Titel Synchronizität als ein Prinzip akausaler Zusammenhänge das Thema umfassend behandelt.

Das psychophysische Problem scheint jedoch mit dem Synchronizitätsprinzip noch nicht gelöst, da darin Psyche und Materie immer noch in einem komplementären Verhältnis zu einander stehen. Erst die Überwindung dieser Komplementarität auf einer Metaebene dürfte an die Lösung des psychophysischen Problems heran führen. Jung und Pauli haben noch geahnt, dass dazu der Einbezug einer "raumzeitlosen Seinsform der Psyche" nötig wird. Dies führt auf das Problem der empirischen Beobachtungsmöglichkeit eines "Jenseits" nach dem Tod des Individuums, sowie von Inkarnationen aus diesem unus mundus.

Die Quaternio

Das Prinzip der Synchronizität veranschaulicht er in einer quaternio, einem Kreuz aus zwei sich jeweils polar ergänzenden Begriffspaaren, die sich diametral ergänzen und somit ähnlich aufzufassen sind wie etwa das Begriffspaar Welle / Teilchen beim Übergang von der klassischen Physik zur Quantentheorie. In der Vertikalen steht - oben: die unzerstörbare Energie unten: das Raum-Zeit-Kontinuum Horizontal befinden sich - links: der konstante Zusammenhang durch Wirkung (Kausalität) rechts: der inkonstante Zusammenhang durch Kontingenz bzw Gleichartigkeit „Sinn” (Synchronizität)

Die vertikale Achse

Mit „unzerstörbare Energie” wird hier die Größe bezeichnet, die bei allen physikalischen Prozessen konstant bleibt, also auch bei der Umwandlung von Energie in Masse und umgekehrt. Ihre durch alle ablaufenden physischen Prozesse sich ständig ändernde Erscheinungsform wird quasi als Tanz aufgefasst, der sich als Evolution auf der Bühne des Raum-Zeit-Kontinuums entfaltet.

Die horizontale Achse

Jung bestreitet nicht, dass jedes der beteiligten Ereignisse in seiner eigenen Kausalkette steht. Deshalb stellt die Synchronizität nicht das Kausalprinzip in Frage, sondern erweitert es linear bis zum rein akausalen Gegenpol: die Dinge sind in ihrer Entwicklung sinnhaft aufeinander bezogen und „so angeordnet, wie sie sind” (acausal orderedness)

Abgrenzung zur Serialität

Jung grenzt die Synchronizizität (für ihn ungewöhnlich methodisch) streng von der Serialität ab, wie sie vor allem Paul Kammerer in seinem Buch „Das Gesetz der Serie (1919)” untersucht hat. Sie betrachtet er als kuriose ? bloß amüsante ? Koinzidenzen, der das schöpferisch verwandelnde Potenzial der Synchronizität fehlt. Dieses Potenzial stammt nach Jung aus der Aktivierung eines Archetyps, die sich in der individuellen Psyche für eine gewisse Zeit fokussiert, um dort Ausgestaltung zu finden. Diesen Vorgang bezeichnet Jung als Individuationsprozess.

Symbolkraft

Sinnstiftend wird die Synchronizität durch ihre Symbolkraft, zum Träger des Symbols wird die physische Komponente der Koinzidenz dank ihrer Intension (spezifischen Entsprechung) und ihrer begrenzten Extension (geringe Häufigkeit). Dadurch kann sie als Resonanz und Antwort auf die (chronologisch vorhergehende) Emotion empfunden werden und dadurch befreiend/entwickelnd wirken.

Synchronizität und Numerologie

Häufig spielt die symbolische (qualitative) Bedeutung von Zahlen eine wesentliche Rolle bei der "Sinnknüpfung" einer Synchronizität. Dabei handelt es sich meist um relativ niedrige ganze Zahlen - oder deren Kehrwert. Ein berühmtes Beispiel ist von dem Physiker Wolfgang Pauli überliefert:

Pauli war zeit seines Lebens von der sogenannten Feinstrukturkonstanten fasziniert. Es ist die einzige physikalische Konstante, die einerseits dimensionslos ist und andererseits im Bereich derjenigen Zahlen liegt, die in unserem täglichen Leben eine Rolle spielen (das heisst, nicht sehr gross oder äusserst klein ist). Ihr Wert beträgt ziemlich genau 1/137. Sie spielt zudem eine grosse Rolle bei der Aufspaltung der Spektrallinien in einem Magnetfeld. Die unerklärliche Aufspaltung derselben im sogenannten anomalen Zeeman-Effekt führte Pauli im Jahr 1927 zur theoretischen Begründung des Spins des Elektrons (der später für alle Elementarteilchen definiert wurde).

Pauli war davon überzeugt, dass nur eine Feldtheorie, die den numerischen Wert der Feinstrukturkonstanten theoretisch begründen kann (und nicht einfach als unerklärliche Naturkonstante angesehen werden muss) befriedigend sein wird. Bis heute wurde diese theoretische Begründung jedoch nicht gefunden.

Als Pauli in das Rotkreuzspital schräg gegenüber seinem Arbeitsort, dem physikalischen Institut der Eidg. Technischen Hochschule in Zürich, mit einem Pankreaskrebs eingeliefert wurde, stellte er tief erschrocken fest, dass er ausgerechnet im Zimmer 137 lag. Dort starb er nach einer erfolglosen Operation am 15. Dezember 1958.

In der jüdischen Mystik, der Kabbala, entsprechen den hebräischen Buchstaben Zahlenwerte. Der hebräische Ausdruck "Kabbala", von rechts nach links mit QBLH geschrieben, setzt sich demgemäss aus den Zahlenwerten Q = 100, B = 2, L = 30 und H = 5 zusammen. Deren Summe ergibt die Zahl 137. [Quelle f.d. ob. 3 Absätze: Ch. P. Enz, Rationales und Irrationales im Leben Wolfgang Paulis, in: Atmanspacher, H., et al., Der Pauli-Jung-Dialog, Springer, Berlin, 1995, p.29f.]

Eine möglich Interpretation dieser Todessynchronizität besteht darin, dass Pauli noch nicht in der Lage war, eine (psychophysische) Feldtheorie zu entwickeln, die die Ergebnisse der Quantenphysik mit der mystischen Tradition der Kabbala verbindet. Dies scheint wahrscheinlich, da der Nobelpreisträger sich einerseits intensiv mit dem psychophysischen Problem, der (wahrscheinlich akausalen) Vereinigung von Psyche und Materie, andererseits mit dem zentralen Thema von Schöpfung, Inkarnation und Reinkarnation beschäftigte, das in der Kabbala des Isaak Luria als das sogenannte tikkun eine zentrale Rolle spielt. Die Lösung blieb ihm allerdings -- wie auch C. G. Jung, mit dem er bezüglich dieser Frage zusammen arbeitete -- versagt.

Nichts als Zufall?

Die häufig gestellte Frage, ob es sich bei dem Phänomen nicht lediglich um Zufall handelt, ist nicht über Wahrscheinlichkeitsbetrachtungen zu lösen, denn der Wahrscheinlichkeitsbegriff erlaubt keine Aussagen über Einzelfälle ? also etwa über den Sinngehalt einer einzelne Koinzidenz. Jedoch führt die Fragestellung zu einer Einbeziehung des Begriffs Zufall in das vorgestellte Konzept:
  1. das so bezeichnete Geschehen ist praktisch nicht vorhersagbar (also nicht in einer vorab bekannten Kausalkette stehend)
  2. in der Wortbildung drückt sich ein Vorgang aus, nämlich dass dem erlebenden Beobachter im Geschehen etwas „zufällt”

Ein Beispiel

Zur Erläuterung das vielleicht berühmteste Beispiel aus Jungs Praxis:
"Eine junge Patientin hatte in einem entscheidenden Moment ihrer Behandlung einen Traum, in welchem sie einen goldenen Skarabäus zum Geschenk erhielt. Ich saß, während sie mir den Traum erzählte, mit dem Rücken gegen das geschlossene Fenster. Plötzlich hörte ich hinter mir ein Geräusch, wie wenn etwas leise an das Fenster klopfte. Ich drehte mich um und sah, daß ein fliegendes Insekt von außen gegen das Fenster stieß. Ich öffnete das Fenster und fing das Tier im Fluge. Es war die nächste Analogie zu einem goldenen Skarabäus, welche unsere Breiten aufzubringen vermochten, nämlich ein Scarabaeide (Blatthornkäfer), Cetonia aurata, der gemeine Rosenkäfer, der sich offenbar veranlasst gefühlt hatte, entgegen seinen sonstigen Gewohnheiten in ein dunkles Zimmer gerade in diesem Moment einzudringen." (Gesammelte Werke, Bd. 8, S. 497.)

Literatur

  • C. G. Jung, Gesammelte Werke, Bd. 8, Walter, Olten (CH), 1971, p. 475ff. (§ 816ff.), Synchronizität als ein Prinzip akausaler Zusammenhänge; ursprünglich veröffentlicht in: C.G. Jung und Wolfgang Pauli, Naturerklärung und Psyche, Rascher Verlag, Zürich, 1952; Paulis Beitrag lautete Der Einfluss archetypischer Vorstellungen auf die Bildung naturwissenschaftlicher Theorien bei Kepler.

  • C. A. Meier (Hrsg.): Wolfgang Pauli und C. G. Jung. Ein Briefwechsel 1932-1958, Springer, Berlin 1992; derzeit vergriffen, jedoch in englischer Übersetzung lieferbar: Routledge, 2001 ISBN 0415120780. Enthält viele Hinweise auf die Entwicklung des Begriffs Synchronizität. Die Meier'sche Editierung enthält viele, teilweise schwerwiegende und sinnentstellende Fehler, die auch in die englische Ausgabe übernommen wurden. Beispielsweise heisst es p. 30: "...dass für das Walten u. Eingreifen einer neuen Art von Naturgesetzlichkeit kein Platz bleibt." Im handschriftlichen Original heisst es hingegen "...dass für das Walten u. Eingreifen einer neuen Art von Naturgesetzlichkeit ein Platz bleibt." Meier kehrt hier im Zusammenhang mit theoretisch möglichen singulären akausalen Schöpfungsakten in der Natur -- die der Nobelpreisträger gegen das Ende seines Lebens befürwortet und so den Darwinismus auf eine neue Art mit Lamarck verbinden möchte -- den Sinn von Paulis Idee in ihr exaktes Gegenteil um. Weitere Informationen bei dr.remo.roth@psychovision.ch

  • C. G. Jung: Grundwerk, Band 2, Archetyp und Unbewusstes (1990) ISBN 3530407828
  • C. G. Jung: Taschenbuchausgabe in elf Bänden, Band 5, Synchronizität, Akausalität und Okkultismus (2001) ISBN 3423351748
  • F. David Peat Synchronizität. Die verborgene Ordnung (1989) ISBN 350267499X, alt. ISBN 3502674981
  • Elisabeth Mardorf, Das kann doch kein Zufall sein. Verblüffende Ereignisse und geheimnisvolle Fügungen in unserem Leben. Kösel Verlag, 6. Ausgabe 2002.ISBN 3466343801 Das Buch erklärt Jungs Theorien von psychologischer Seite aus gut verständlich und geht vor allem auf die Bedeutung synchronistischer EReignisse ein. Sehr viele interessante Beispiele, spannend zu lesen. Elisabeth Mardorf ist Psychotherapeutin und freie Autorin.

Weblinks